Dienstag, 10. Januar 2017

Im falschen Film oder wie?

"Ich glaube, ich bin im falschen Film. Warum passiert nur mir das ständig?" Ein typischer Satz vieler meiner Klienten. Es packt sie, irgendwann und vielleicht auch dich, die berufliche Unzufriedenheit. Sei es durch Stress, mangelnde Einkünfte, Probleme mit Vorgesetzten oder Kollegen. Ein lebenslanges hürdenfreies Berufsleben hat kaum einer vorzuweisen. Doch, was ist, wenn die Stolpersteine Felsbrocken sind, die Probleme sich konsequent wiederholen und als äußerst resistent gegenüber marktüblichen Lösungsmethoden zeigen?
Das Ursache-Wirkungs-Prinzip ist fett und für einen Laien vielleicht erst mal unverständlich, wenn ich zielorientiert nach den Erfahrungen der Kindheit frage. Was soll die eigene Kindheit mit dem beruflichen Erfolg zu tun haben? Alles und manchmal auch nur wenig, je nach Verlauf. Als Businesscoach kann ich auf eine langjährige Erfahrung zurückblicken und daher freien Herzen behaupten, dass die rein beruflichen Probleme 20 % ausmachen. Wir leben in einem wunderbaren Land, indem Weiterbildungen jeglicher Art möglich sind und man sich auf dem freien Markt jederzeit neu positionieren kann. Rein berufliche Hindernisse sind wirklich leicht zu lösen, auch in Karrierefragen. 80 % aller Barrieren haben ihren Ursprung im Privatleben. In dem Leben, was viele schon ad Acta gelegt haben, der Kindheit. Jedes Kind passt sich seinem Umfeld an, um zu überleben. Die perfekte Adaption an das Elternhaus entsteht, um das eigene Heranwachsen nicht zu gefährden. Dies kann sich bei liebenden und fürsorglichen Eltern als höchst positiv erweisen.
Wenn aber die Familie von emotionalen und sozialen Missständen geprägt war, passt sich das heranwachsende Kind den negativen Verhaltensweisen an, die es sozusagen perfektioniert um das passende Puzzlestück in dem Mosaik der Nicht-Liebe zu werden. Und hier kommen wir zu dem entscheidenden Schlüssel. Das Kind fängt unbewusst an „Rollen“ zu übernehmen. Die Rollen des Schuldträgers, des Trösters, der besten Freundin, der Mutter oder des Vaters, etc. Viele nicht liebesfähige Eltern lösen in ihren Kindern eine erhöhte Fürsorge und Schutzbedürftigkeit aus, die „Rollen“ werden sozusagen vertauscht. Das Kind fängt an die Verantwortung für die Eltern zu übernehmen, sie zu schützen, zu pflegen und stetig zu umsorgen.  Man kann sich das wie in einem schlechten Theaterstück vorstellen. Die Bühne und die Charaktere bleiben die Gleichen, während das Kind/der Erwachsene in unterschiedlichen Verhaltensweisen über die Bühne fegt, getrieben von der Sehnsucht nach Liebe. Egal wie perfekt es welche Figur darstellt, es bleibt auf der Strecke, die Liebe bleibt ihm weiterhin versagt.
Diese Rollen legen sich NICHT von alleine ab, sie sind maßgeblich für spätere Entscheidungen und für die Wahl und vor allen Dingen Umsetzung des Berufes.
Um zu erläutern, wie fatal sich dies auswirken kann, nehme ich ein anonymisiertes Fallbeispiel aus der Praxis.
Lena, 28 Jahre alte Hotelkauffrau, Kindheit im Familienbetrieb verbracht, Einzelkind, alleinerziehende Mutter, Vater verließ die Familie als Lena 3 Jahre alt war, Ausbildung sowie Arbeitsstelle (Vollzeit) in einem fremden Betrieb.
Lena litt unter Mobbing, permanente Erschöpfung, Arbeiten am Limit, kaum Privatleben, keine Bindung sowie erhöhte Infektanfälligkeit. Schlafen konnte sie maximal sechs Stunden pro Nacht und hatte extreme Einschlafschwierigkeiten. Schon im Erstgespräch wurde klar, was ihr eigentliches Problem war. Lena wurde mit einer alleinerziehenden Mutter groß, die den Familienbetrieb sowie das angrenzende Café alleine managte. Lena kannte nur eine Mutter, die ständig über ihre Grenzen ging, permanent gestresst, gereizt und überfordert war. Die Tochter musste schon früh in dem Betrieb mithelfen und wurde so eine fast unersetzbare Dienstkraft. Nach ihrem Abitur lernte sie den Beruf der Hotelkauffrau und arbeitete weiter  in dem Ausbildungsbetrieb. Sie klagte über Mobbing, beschwerte sich über ihren „doofen“ Chef und kritisierte, dass sie nicht genügend Anerkennung für ihre Leistung bekommen würde. Sie wäre nie gut genug!
Ich erstellte mit ihr die sogenannte Leidenspyramide, in der aufgelistet wird, welche Rollen man für die Eltern übernahm und wie sich diese auf das heutige Berufs- und Privatleben auswirken.
 Sehnsucht nach LIEBE
Das Beziehungsgeflecht zwischen Lena und ihrer Mutter funktionierte nur, wenn die Tochter den Bedürfnissen der Mutter diente. Die mangelnde Fürsorge und fehlende Liebe der Mutter wurden kompensiert über Leistung. „Wenn du……., dann…“ Funktionierte Lena, bekam sie Anerkennung, funktionierte sie nicht, erntete sie Ablehnung und Hass. Da die Mutter nicht die Bildung hatte wie die eigene Tochter und dadurch eine erhöhte Fehlerquote aufwies, übernahm Lena sehr früh das unternehmerische Denken. Und nicht nur das. Sie wurde Trösterin, Ersatzmann, Therapeutin und Unternehmensberaterin in einem.  Ihre kindlichen Bedürfnisse wurden in keinster Weise gestillt. Aus Lena wurde das perfekte Aschenbrödel, sie hatte zu funktionieren, es ging nicht um sie, es ging nur darum der egomanischen Mutter zu dienen und dies auf allen Ebenen des Seins. Ein Ausschnitt ihrer Leidensspirale:
Rollen für die Mutter/ heutige Konsequenzen
Heimliche Chefin sein         ⇒         Konkurrenz zum Chef
Immer Recht haben müssen     ⇒     Kollegen bevormunden
Ersatzmann der Mutter     ⇒    Bindungsängste
Allzeit bereit sein     ⇒    Ausgebrannt/Burn-out-Gefahr
Die mangelnde Liebe der Mutter und der Kontaktabbruch des Vaters machten aus dem Kind eine frühreife Erwachsene, die unter Leben Leistung verstand. Die Leidenspyramide   (die aus technischen Gründen leider auf WordPress nicht so darstellbar ist, wie in der Praxis) veranschaulicht, wie sich die kindlichen Rollen auf das damalige Arbeitsverhältnis auswirkten.  Der fremde Betrieb wurde nahtlos der eigene Familienbetrieb, der Chef und die Kollegen wurden zur Mutter, die mangelnde Wahrnehmung der eigenen Bedürfnisse führten zu Beziehungslosigkeit und Isolation sowie das Dienen im vorauseilenden Gehorsam Lena langsam aber sicher körperlich und seelisch ausbrannten. Das Ergebnis: VERLUST. Verlust von Liebe, Anerkennung, Respekt, Verlust von Gesundheit und Integrität.
Um den Verlust der Kindheit zu unterbrechen, bedarf es einiger Tools. Neue Verhaltensweisen, Versöhnung mit dem inneren Kind, Kommunikationstraining, Übungen der Grenzsetzungen und Grenzwahrnehmungen sowie Förderung der Kernkompetenzen. Die Komplexität der Übertragungsmuster ist enorm, aber durchaus lösbar.
Es folgten viele Trainings- und Coachingeinheiten bis Lena da war, wo sie „eigentlich schon immer hin wollte“(Sätze mit der Formulierung eigentlich sprechen Bände. Immer wenn Menschen sagen, „eigentlich will ich ja das…“, sollte man lediglich das eigentlich streichen, denn der Rest erzählt meist die wahre Absicht).
Und wo steht Lena heute?
Halbtagsjob und Studium der Pädagogik.
Es muss nicht immer zu einem Berufswechsel kommen, es können auch Veränderungen an dem Verhalten und der inneren Ausrichtung für Erfolg und Zufriedenheit sorgen. Nur von alleine verändert sich diesbezüglich nichts. Es bedarf professioneller Unterstützung um die jahrelang angelernten Verhaltensmuster von nicht förderlichen Absichten zu befreien, damit die wahren Kompetenzen sichtbar werden, der giftige Apfel sich aus dem Hals erlöst und das Aschenputtelkleid in der Rumpelkammer landet.
Wir alle übertragen familiäre Muster auf unser Berufsleben, fragt sich nur, ob wir in Kindheitstagen Aschenputtel, Prinzessin auf der Erbse, Räuber Hotzenplotz oder Sindbad waren und wer die sieben Zwerge jetzt wirklich anführt!
Herzlichst,
Claudia Schüchen